Juliane Schreiber schreibt gegen den Wahn, den Boom, den „Wohlfühlrausch“ des Positiven an, schreibt eine Art „Anti-Ratgeber“, der sich gegen die Ratgeber- und Coaching-Welt lehnt mit ihrem Diktat des „Sei glücklich“ und „wenn du es noch nicht bist, werde es sofort, ich zeige dir wie“. Schreiber lehnt nicht das Glück an sich ab, sondern das anhaltende Streben danach und das Glücklichsein als Norm zu verstehen anstatt als Ausnahmezustand. Glücklichsein ist für sie ein Extremzustand, den man nicht unbedingt oft erreichen will. Denn wer glücklich ist, ist auch gleichzeitig euphorisch abgelenkt, egoistisch und irrational.
Schreiber bedient sich dazu einer eher unpopulären und nicht unumstrittenen Figur des „depressiven Realisten“, der in seiner leichten – zumindest empfundenen – Depression die Welt klarer sieht. Sie steht der recht populären Psychologie des Positiven entgegen, im äußersten Fall verkörpert vom „digitalen Narzissten“ oder einer „toxischen Positivität“. Die Autorin setzt sich ein für unbeliebte Gefühle wie Zweifel, Trauer, Melancholie und eine Kultur des Schimpfens, Fluchens und Brummens. Allem voran steht immer die Annahme, Kritik sei produktiver, innovativer, präziser und vorantreibender als Glück.
Wenn wir in der Gesellschaft davon ausgehen, dass jede:r für sein Glück selbst verantwortlich ist und es herstellen kann, so gehen wir auch davon aus, dass alle für ihr Unglück und Leid selbst verantwortlich sind. Das ist vielleicht eine Art „neoliberale“ Vorstellung der Gefühlswelt – zumindest mache es uns gesellschaftlich kaltherzig, so Schreiber.1Ö1 Kontext vom 8.7.2022 von Wolfgang Ritschl
Der Terror des Positiven besteht in der Wahnvorstellung, dass Glück, genauso wie die gesellschaftliche Position im Leben, reine Einstellungssache sei.
—Juliane Marie Schreiber 2Juliane Marie Schreiber: Lasst mich in Ruhe mit eurem ganzen Glück! –In: SZ Magazin , 18.4.2022
Schreibers Buch kommt gerade recht, wenn die dauerhaft positiven Gedanken sich nicht so recht einstellen wollen; wenn sich dunkle Gedanken nicht abwehren lassen; wenn Wut entsteht, weil ein positives Umdeuten kein Problem löst; wenn Traurigkeit und Zweifel sich ihren Weg bahnen – denn all das ist zutiefst menschlich.
„Nicht jedes Problem lässt sich mit guter Stimmung lösen.“
—Juliane Marie Schreiber 3 „Hätten Sie Proust geraten, positiver zu denken?“ Interview mit Juliane Marie Schreiber. –In: Dossier, Salon Magazin 30/2022.
Juliane Marie Schreiber ist Politologin und freie Journalistin und das ist ihr zweites Buch. @jm_schreiber auf Twitter.

Juliane Marie SCHREIBER (2022): Ich möchte lieber nicht. Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven. Piper, 7. Aufl. 208 Seiten.
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Das Buch hat herrlichen Regenbogenglanz auf dem Cover!
Fluchst du viel? Und hilft dir das?
Literatur
- 1Ö1 Kontext vom 8.7.2022 von Wolfgang Ritschl
- 2Juliane Marie Schreiber: Lasst mich in Ruhe mit eurem ganzen Glück! –In: SZ Magazin , 18.4.2022
- 3„Hätten Sie Proust geraten, positiver zu denken?“ Interview mit Juliane Marie Schreiber. –In: Dossier, Salon Magazin 30/2022.
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