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Gefüh­le dif­fe­ren­zie­ren lernen

Die Einsamkeit hat viele Geschwistergefühle: Angst, Traurigkeit, Enttäuschung. So lernst du deine Gefühle besser erkennen.
Foto: Liana Mikah

Wenn du dei­ne Gefüh­le dif­fe­ren­zierst, benennst du sie, ohne sie zu bewer­ten. Das führt zu einem prä­zi­sen, nuan­cier­ten Blick auf dei­ne Gefühls­la­ge im aktu­el­len Moment.

Ein Dif­fe­ren­zie­ren bedeu­tet nichts ande­res, als Gefüh­le von­ein­an­der abzu­gren­zen, sie zu ent­wir­ren und genau­er zu ergrün­den. Ich stel­le mir das Dif­fe­ren­zie­ren immer wie einen Farb­fä­cher vor: Wenn man ein Dun­kel­grün auf­fä­chert, kom­men vie­le Grün‑, Blau- und Gelb­tö­ne zum Vor­schein. So wie im Farb­fä­cher kei­ne Far­ben zu einer Mischung kom­bi­niert wer­den, son­dern eige­ne Far­ben blei­ben, so kannst du auch dei­ne Gefüh­le zer­glie­dern. Was wie Grün aus­sieht, ist in Wirk­lich­keit ein wenig Blau und viel vom Gelb. Und es kann neben­ein­an­der exis­tie­ren, ohne eine Mischung zu werden.

Mit dem Dif­fe­ren­zie­ren gelingt eine gewis­se Distanz, die es auch erlaubt, Din­ge so zu sehen, wie sie sind. Und sie als das ste­hen zu las­sen, nicht dar­an zu rüt­teln. Du kannst etwas als wun­der­schön aner­ken­nen, es aber trotz­dem los­las­sen. Du kannst einen Men­schen bewun­dern, dich aber trotz­dem ent­schei­den, ihn nicht mehr zu tref­fen. Du weißt viel­leicht, dass du Schuld hast, dass etwas schief gelau­fen ist, machst dich aber des­we­gen nicht fer­tig, son­dern gelobst im Deal mit dir selbst Besserung. 

Dann gelingt etwas Wich­ti­ges: Wider­sprü­che aus­zu­hal­ten und ste­hen zu las­sen. Zwei­fel aus­zu­hal­ten und ste­hen zu las­sen. Nicht alles zu ent­schei­den, was nicht zu ent­schei­den ist. Etwas los­zu­las­sen, noch bevor man es ver­steht. Abzu­war­ten, ohne etwas zu tun.

Dann gelingt etwas Wich­ti­ges: Wider­sprü­che aus­zu­hal­ten und ste­hen zu lassen. 

—Stu­dio Solitudo

Gefüh­le sprach­lich differenzieren

Zum Dif­fe­ren­zie­ren der Gefüh­le hilft es, sprach­lich mög­lichst genau zu sein. Kei­ne Kom­pro­mis­se! Ver­such das Gefühl so genau als mög­lich zu benen­nen. Fürs Ers­te sind dafür auch Fan­ta­sie­wör­ter gül­tig, erst im Gespräch mit ande­ren wirst du Gefühls­be­grif­fe syn­chro­ni­sie­ren müs­sen. Sät­ze wie die­se kön­nen beim Benen­nen helfen:

Ich spüre … Kummer, Schmerz, …
Ich fühle mich … alleingelassen, abgenabelt, ausgewurzelt, …
Ich habe … Angst, Horror vor, Sehnsucht nach …
Ich bin … traurig, wütend, zornig, sauer, enttäuscht, …
Ich spüre mein Gefühl in Kopf, Hals, Brust, Herz, Bauch, …
Ich fühle mich wie …
Mir geht es so als ob …
Ich spüre sowohl … als auch …

Wer Gefüh­le genau­er benen­nen kann, kann gleich­zei­tig bes­ser mit ihnen umge­hen. Das Dif­fe­ren­zie­ren dei­ner eige­nen Emo­tio­nen und Gefüh­le hilft dir außer­dem nicht nur dabei, mit dei­nen eige­nen Gefüh­len bes­ser umzu­ge­hen, son­dern auch, Gefüh­le in ande­ren Men­schen bes­ser zu ver­ste­hen.1In der Wis­sen­schaft ist dies unter „Emo­ti­ons­dif­fe­ren­zie­rung“ bekannt. ISRAELASHVILI, Jacob/OOSTERWIJK, Suzanne/SAUTER, Disa/FISCHER, Agneta (2019): Kno­wing me, kno­wing you: emo­ti­on dif­fe­ren­tia­ti­on in ones­elf is asso­cia­ted with reco­gni­ti­on of others’ emo­ti­ons. Cogni­ti­on and Emo­ti­on, 33:7, 1461–1471. DOI: 10.1080/02699931.2019.1577221

Ver­su­che dich im Dif­fe­ren­zie­ren dei­ner eige­nen Gefüh­le zu üben und hal­te dich dabei gern an fol­gen­de Schritte:

  1. Gib dem Gefühl Raum.
  2. Dass du das Gefühl genau benen­nen kannst, ist wich­ti­ger als dass du es los wirst.
  3. Wenn du das Gefühl benen­nen kannst, kannst du es durch­le­ben, ohne es zu bewerten.
  4. Schlie­ße die Beob­ach­tung ab, schlie­ße den „Raum“ und küm­me­re dich um etwas ande­res. (D.h. gib dem Gefühl zwar Raum, aber in Inten­si­tät und Zeit begrenzt. Die Kon­trol­le dar­über hast du selbst.)

Hast du’s gewusst?

Ale­xi­tyhmie oder „Gefühls­blind­heit“ betrifft – zumin­dest in Tei­len – etwa 10 % aller Deut­schen. (quarks.de)


Hast du ein unge­wöhn­li­ches Lieb­lings­ge­fühl? Berich­te ger­ne davon als Kommentar.

Lite­ra­tur

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    In der Wis­sen­schaft ist dies unter „Emo­ti­ons­dif­fe­ren­zie­rung“ bekannt. ISRAELASHVILI, Jacob/OOSTERWIJK, Suzanne/SAUTER, Disa/FISCHER, Agneta (2019): Kno­wing me, kno­wing you: emo­ti­on dif­fe­ren­tia­ti­on in ones­elf is asso­cia­ted with reco­gni­ti­on of others’ emo­ti­ons. Cogni­ti­on and Emo­ti­on, 33:7, 1461–1471. DOI: 10.1080/02699931.2019.1577221
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Lonely Pea

Fühlt sich ziemlich allein in der Schote und träumt von Obstsalat. Schreibt in der Zwischenzeit Texte.

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