John Cacioppo hat in seiner Arbeit das sog. EASE-Modell entwickelt, das als Vier-Stufen-Modell einen Weg aus einer chronischen Einsamkeit beschreibt. EASE ist ein Akronym und steht für Extend Yourself, Action Plan, Selection und Expect The Best (auch engl. ease für erleichtern, lindern). Einen Kern des Modells stellt dabei das freiwillige gemeinnützige Engagement als Möglichkeit für soziale Kontakte in sicherer Atmosphäre.
John Cacioppo (1951–2018) war einer der bekannteren Forscher zur Einsamkeit. Er wollte sich mit sozialen Strukturen beschäftigen und setzte sich dabei mit dem Fehlen dieser auseinander, was schließlich zu jahrelanger Forschung zur Einsamkeit führte.1John Cacioppo: ‘Loneliness is like an iceberg – it goes deeper than we can see’, The Guardian, 2016. Gemeinsam mit Gary Berntson schlug er vor, in „sozialen Neurowisschenschaften“ neuronale, hormonelle und zelluläre Mechanismen zu untersuchen, die möglicherweise sozialen Strukturen und Verhaltensweisen zugrunde liegen. Dem gegenüber steht die übliche kognitive Neurowissenschaft, die das Gehirn eher als Computer sieht.2johncacioppo.com
Das EASE-Modell
Im Folgenden skizzieren wir die vier Schritte nach Cacioppo.
Erweitern des Aktionsradius
Das starke Gefühl chronischer Einsamkeit kommt mit Passivität und Rückzug daher. Es ist tatsächlich ein Teufelskreis, in den man Gefahr läuft zu geraten. Der Rückzug entstammt der Angst vor Gefahr und bedrohlichen Situationen. Um wieder sicherer zu werden, rät Cacioppo das stückchenweise Austesten in sicheren Umgebungen. Nicht ins kalte Wasser springen, sondern erst einmal den Zeh hineinhalten. Wenn man in kleinen sozialen Situationen positive Gefühle erfährt, traut man sich irgendwann wieder mehr. Es nährt das Selbstbewusstsein, den Wunsch nach Veränderung und die Fähigkeit zur Selbstregulierung. Eine Möglichkeit für sicheren sozialen Raum kann etwa das Mithelfen in gemeinnützigen Aktivitäten sein.
Aktionsplan
Cacioppo stellt klar, dass wir immer eine gewisse Kontrolle und Selbstbestimmung über das Geschehen in unserem Leben haben. Die eigene Situation lässt sich durch die eigenen Gedanken und kleine Verhaltensänderungen bereits drastisch verändern. Das Mitarbeiten in wohltätigen Aktivitäten kann ein erster Ansatz sein, aber dabei ist es wichtig, dass wir nach unseren Fähigkeiten und Kenntnissen entscheiden. Es braucht Leute auf und hinter der Bühne und man tut gut daran, für sich herauszufinden, wo man sich wohler fühlt und Gleichgesinnte findet.
Es gilt dabei den feinen Grat zu erwischen, der sich entlangzieht zwischen dem Öffnen für andere Menschen und dem Bedürfnis, es allen recht machen zu wollen. Cacioppo beschreibt recht schön, dass wir uns nicht verbiegen müssen, dass soziale Kontakte keine „übermenschlichen Kräfte“ verlangt und es reicht, wenn wir einfach da sind als die Menschen, die wir sind, ohne uns zu verausgaben.
Eine gute Einschätzung der eigenen Erwartungen, der reellen Möglichkeiten, eine Offenheit für andere und ein Wahrnehmen sozialer Signale sind gute Rahmenbedingungen für das eigene soziale Engagement.
Selektieren
Nach Cacioppo geht es bei dem Weg aus der Einsamkeit vor allem um die Qualität der Beziehungen. Die Beteiligten einer zwischenmenschlichen Beziehung müssen nach eigenen Maßstäben zufrieden mit der Intensität und Nähe der Beziehung sein. Im Kennenlernen kann ein Zuviel – manchmal auch ein Zuwenig – das Annähern verunmöglichen. Es geht also darum, ein wenig Fingerspitzengefühl zu beweisen in der Auswahl der Kontakte, die sich lohnen, weiterzuverfolgen. Weil man in der Einsamkeit oft recht sensibel auf soziale Zeichen reagiert, ist es wichtig, zu versuchen, gut im Moment, aufmerksam und entspannt zu bleiben.
Aussehen, sozialer Status und ähnliche Oberflächlichkeiten sind wenig überraschend kaum Garant für gelingende soziale Beziehungen. Geteilte Überzeugungen und Werte sind dafür wichtiger, auch gemeinsame Interessen und Aktivitäten können verbindend sein. Lt. Cacioppo sind Ähnlichkeiten mehr als Gegensätze Aspekte für gelungene romantische Beziehungen.
Wenn du jemand kennen lernen möchtest, der gern ins Theater geht, geh ins Theater. Wenn du introviert bist und gerne deine Ruhe hast, geh dorthin, wo es ruhig ist. Welche Menschen man kennen lernen möchte, definiert, wie man es anstellt und wo.
Erwarten des Besten
Hier muss man ein bisschen das Pferd von hinten aufzäumen und an die Sache herangehen, als hätte man schon, was man sich am Ende davon erwartet: Wenn uns soziale Verbindungen idealerweise zu geduldigeren, milderen, optimistischeren Menschen machen, so ist das genau die Haltung, mit der wir an neue Begegnungen herangehen sollten. Wer großzügig und freundlich in die Welt hinausgeht, wird auch so empfangen werden, so die These. Dass dabei Rückschläge zu erwarten sind und wir mit Ungeduld und Veränderung auf Liebe warten, bedeutet nur noch mehr, auf unsere Reaktionen und Gefühle zu achten: Zurückweisungen und Verletzungen drohen wir gerade in der Einsamkeit oft überzubewerten.
While we wait for the change in us to register in the world around us, fear and frustration can push us back into the critical and demanding behavior associated with loneliness.
—John Cacioppo
Wir finden besonders den vierten Punkt besonders schön, er ist am wenigsten offensichtlich und doch so wichtig. Und natürlich heftig schwierig umzusetzen! In einem Gefühl des Alleinseins, der Enttäuschung und Verbitterung ist es nur ein Katzensprung zu Groll und Gram. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen gelingt aber nur von innen. Das ist kein Sprint, das ist ein Marathon. Aber der lohnt sich in jedem Fall.
Zum Weiterlesen:
- John Cacioppo/William Patrick: Loneliness. Human Nature and the Need for Social Connection (2008). Auf Deutsch: Einsamkeit. Woher sie kommt, was sie bewirkt, wie man ihr entrinnt. Spektrum der Wissenchaft, 2011.
- John Cacioppo (2008): Easing Your Way Out of Loneliness. –In: Psychology Today. Online unter psychologytoday.com
- Lisa Auffenberg/Anne Kratzer: Sich öffnen. Sehnsucht nach Verbundenheit. Psychologie Heute 01/2021.
Literatur
- 1
- 2
Verwandte Beiträge
-
Was ist Einsamkeit?
Wer sich einsam fühlt, fühlt sich alleine, isoliert oder verlassen. Das negative Gefühl hat aber…
-
Jakob SIMMANK: Einsamkeit (2020)
Ist Einsamkeit wirklich das Gesundheitsrisiko Nummer Eins? Jakob Simmank entschärft drastische Aussagen und bietet Lösungen.
-
Einsamkeit oder Depression?
Menschen, die sich oft und über lange Zeit einsam fühlen, haben höhere Chancen, depressive Verstimmungen…